Peru besitzt neben den andinen Indio-Sounds auch eine traditionsreiche Afro-Szene, die allerdings erst in den letzten Jahren international richtig wahrgenommen wird.
Novalima gehören zu den bekanntesten Gruppen des Genres und sie treten am Samstag, 30. Mai an Afro-Pfingsten in Winterthur auf.
Esel können bekanntlich kräftig zubeissen. Weniger bekannt ist, dass die Zähne der Grautiere nach deren Ableben in Peru eine musische Weiterverwertung finden. Das Gebiss mutiert samt Unterkiefer zum Idiophon Quijada, das von einem Stäbchen bearbeit wird und Schabegeräusche von sich gibt.
Die Mystik des Eselgebisses: auf dem Cover von „Radiokijada“ blecken einen die Beisser bedrohlich an, im Booklet von Novalimas „Coba Coba“ leuchtet der Kiefer wie ein archäologisches Fundstück aus dem dunklen Hintergrund hervor. Der Esel war in Lateinamerika als Lasttier eng mit der Sklaverei verbunden. Auch in Peru, wo die Spanier im 16. Jahrhundert begannen, afrikanische Sklaven für den Abbau in den Minen einzuschleppen. Da die Schwarzen klimatisch die Arbeit in den Bergen nur schlecht ertrugen, setzte man sie später in den Gegenden am Pazifik ein. Von Kolumbien bis Peru prosperieren hier deshalb bis heute Afro-Kulturen. In Peru sind diese vor allem in Süd-Lima heimisch und sie wurden musikalisch bereits in den 80er-Jahren durch die in einem Fischerort bei Lima aufgewachsene Sängerin Susana Baca bekannt. In Bacas Band gelangt auch stets das Cajón zum Einsatz, ein neben dem Quijada zentrales afroperuanisches Perkussionsinstrument, das aus einer Holzkiste mit Schalloch besteht und der kubanischen Marimba vergleichbar ist.
All das blieb jedoch bis vor kurzem als eigenständige musikalische Sprache und Szene international obskur. Seit ein paar Jahren tut sich nun einiges, die zweite CD des Projektes Novalima ist bis zu uns gedrungen und fast zeitgleich erscheint mit „Radiokijada“ ein weiteres einschlägiges Set. Letzteres basiert auf der Zusammenarbeit des Peruaners Rodolfo Muñoz mit dem von Gotan Project her bekannten Schweizer Christoph H. Müller. Die beiden lernten sich vor fünfzehn Jahren in Paris kennen und werkelten einige Jahre an der CD „Radiokijada“, auf welcher Muñoz seine Erfahrungen mit der afroperuanischen Szene in Lima umsetzte.
Herausgekommen ist eine erhellende musikalische Einführung in die afroperuanischen Sounds. Von Muñoz beschwörend kommentiert und durch Müller mit Synthie-Hall versehen, wird gleich zu Beginn in „Intro Kijada“ das geheimnisvolle Rasseln und Kratzen der Quijada vorgestellt. Solches löst dann ein auf der dezidierten Perkussion des Cajón gemächlich daherschreitender Landó - eine zentrale afroperuanische Musikform - ab, der sich synkopiert einer kubanischen Guajira mit der Gemächlichkeit eines Boleros annähert. Lebhafter und rhythmisch auch auf den Cajones basierend dann der hypnotisch wirkende Festejo „Quema!“ (Brenne!), ein Tanz, in welchem Mann und Frau gegenseitig versuchen, einen an ihrem verlängerten Rücken baumelnden Stofffetzen zu entzünden. Das Set mündet auf „S.O.S.“ und „Lima-Paris“ in technoiden Dub/Landó respektive Festejo mit gerappten Teilen.
Typisch ist, dass hier eine lateinamerikanische Afroszene erst durch Aussenstehende einer breitere Öffentlichkeit näher gebracht wird. Im Falle des Projektes Novalima handelt es sich um vier Söhne von Intellektuellen und Künstlern aus Lima, die sich vor über fünf Jahren mit der afroperuanischen Szene zu beschäftigen begannen. Eine erste CD, die mit versierten Afroperuanern aufgenommen wurde, kam 2005 heraus und sorgte für Aufsehen, das zweite Set „Coba Coba“ erschien kürzlich.
Novalima präsentieren natürlich musikalisch ähnliche Sounds wie Muñoz/Müller. „Coba Coba“ beginnt mit einer bewegten Marinera, einer neben dem Landó ebenfalls wichtigen Form afroperuanischer Musik, der Cajón-Perkussion antworten Bläserwände mit markanten Melodiekürzeln. „Se Me Van“ wiederum basiert auf den in ganz Lateinamerika präsenten Salsa-Strukturen, während an anderen Stellen sowohl Reggae- als auch Dub-Einflüsse zur Geltung kommen. Fazit: afroperuanische Sounds haben zwar charakteristische Merkmale, sind jedoch gleichzeitig offen für alle möglichen kreativen Erweiterungen, da es sich dabei nie um determinierte modische Trends handelt, sondern um lebendige und bis dato praktizierte Musik.