Der Grossmeister

Dem 53jährigen Ausnahmetalent gelingt es wie keinem zweiten, die Sounds der hispanischen Karibik und der heimatlichen República Dominicana mit grossem Gestus zusammenzufassen und auf seinen selten erscheinenden, aber stets meisterlichen Alben eigenwillig aufzubereiten. Ein Portrait des herausragenden dominikanischen Musikers Juans Luis Guerra, der kürzlich eine neue CD herausgebracht hat: "A Son De Guerra".

Er halte nicht viel davon, jährlich oder auch nur alle zwei Jahre eine neue CD herauszubringen, meinte Juan Luis Guerra einmal. Eine Entscheidung für Qualität statt Quantität. 1957 in Santo Domingo geboren und aufgewachsen, studierte Guerra an der dortigen Universität Philosophie und Literatur. Anschliessend besuchte der vielseitig Begabte das Konservatorium, lernte Gitarre und begab sich dann ans Berklee College of Music in Boston, wo er 1982 mit einem Diplom in Jazzkomposition abschloss.

Intellekt und Instinkt
In einzigartiger Weise Intellekt und Instinkt verbindend, gelingt es Juan Luis Guerra, die Populärkultur seiner Heimat sowie der übrigen hispanischen Karibik musikalisch zu transzendieren, ohne dabei elitär zu wirken. Im Gegenteil: die dominikanische Bachata eroberte erst 1991 nach dem Erfolg von Guerras „Bachata Rosa“ die (Pop)Welt. Aus Guerras Studien resultierten zunächst jazzige Klänge. Nach seiner Rückkehr in die República gründete der junge Musiker die Band 4:40, die sich an den Sounds der New Yorker Vokalgruppe Manhattan Transfer orientierte. Santo Domingos Strassen und die dort allgegenwärtige Populärmusik holten Guerra dann ziemlich schnell ins pralle urbane Leben zurück. Bereits der zweite Tonträger „Mudanza y Aerreo“ (1985) bietet eigenwillige Annäherungen an den Merengue clasico mit seinen aufgekratzten Zweivierteln und den Big-Band-Arrangements.

Guerra ging danach unbeirrt seinen Weg, der ihn offenbar auch einmal in der nachmittäglichen Hitze auf eine Kaffeeplantage bei Santiago de los Caballeros führte, der Hauptstadt des ländlichen Merengue tipico. Dort liess er sich durch ein anonymes Gedicht zu „Ojalá Que Llueva Café En El Campo“ - es möge Kaffee auf die Felder regnen - inspirieren. Das orchestral aufbereitete Lied über die Sehnsucht armer Bauern nach Kaffe- und Quarkniederschlag auf Honighügel und Butterberge verhalf Guerra 1990 zum Durchbruch im Mundo Latino. Der Song ist beispielhaft für Arrangierkunst des Musikers. Auf der rhythmischen Basis eines in gemächlichen Zweivierteln dahinschunkelnden Merengue überzeugt Guerra durch seine vokalen Fähigkeiten, mit denen er in einer Endlosmelodie mühelos vom Erzählton ins Falsett und zurück zu pendeln weiss. Ohne das Lied zu überfrachten, schleichen sich Orchesterklänge und schliesslich ein juveniler Chor ein - der amüsante Bauernpsalm mutiert zum Kinderlied, zu singen auf der Kaffeeplantage, im Zuckerrohrfeld.

Sueños
Man könnte das „Ojalá“-Album insgesamt als „Set der Wunschträume“ bezeichnen, denn vor dem Titelsong steht „Visa Para Un Sueño“ (Visum für einen Traum). Dieser Merengue clasico beschäftigt sich mit der Emigration aus der República, bei der, so die letzte Zeile des Songs, häufig keine Rückkehr eingeplant wird. Obschon Guerra eigentlich kein „politischer Musiker“ ist, behandeln seine Texte öfters gesellschaftliche Belange im Mundo Latino. Richtiggehend angeeckt hat der Dominicano mit dem ironischen, von der Highlife-Gitarre des Kongolesen Diablo Dibala geprägten Song „El Costo De La Vida“ (Lebensunterhaltungskosten) vom Album „Areito“ (1992), der in den USA als „antiamerikanisch“ empfunden wurde. Danach konzipierte Guerra mit „Para Ti“ von 2003 nur noch einmal eine inhaltlich engagierte CD mit ausschliesslich christlichen Texten.

Abgesehen von diesem Ausfallschritt in evangelikale Gefilde bringt Guerra spätestens seit „Ni Es Lo Mismo Ni Es Igual“ von 1998 im Schnitt alle drei, vier Jahre praktisch makellose Juwelen heraus. Guerra zaubert und verzaubert. Entstanden sind dabei mit „Ni Es Lo Mismo“ und dem mit einem Latin-Grammy ausgezeichneten „La Llave De Mi Corazón“ (2007) Preziosen eines schönheitstrunkenen Hedonisten. Edler, aber druckvoller Merengue wird von geschmeidiger Salsa abgelöst, die bei Guerra stets durch prägnante Melodik besticht; dazu kontrastieren Bachata-Boleros wie etwa das stupend süsse „La Hormiguita“ mit seiner von zart perlenden Gitarren umschmeichelten Akkordeonmelodie.

Guerras Aficionados harren gerne längere Zeit des nächsten Werkes, da man weiss, dass man auf einen sicheren Klassiker wartet. Und mit „A Son De Guerra“ erschien kürzlich wieder ein solcher. Obschon sich - im CD-Titel angedeutet - auf dem neuen Set ein Son/Salsa-Drall bemerkbar macht, bleibt die Mixtur ureigenster Guerra. Es lohnt sich wie immer, die Texte genauer anzuschauen. Der kubanisch eingefärbte Guaracha-Son „La Guagua“ handelt von leeren Versprechungen, während sich die Salsa „Arregla Los Papeles“ ironisch mit bürokratischem Papierkram auseinandersetzt; „Bachata En Fukuoka“ wiederum verbindet auf ulkige Weise ostasiatische Melodieschleifen mit dem dominikanischen Erfolgsstil.

Sehnsucht
Als Vollblutmusiker beherrscht Guerra souverän sowohl die von anderen Latinos nur selten gut interpretierten dominikanischen Stile als auch das Son/Salsa-Universum. Das macht ihn zum bedeutenden und herausragenden Mittler und Vermittler. Überdies eignet seinem Werk stets eine Qualität, die packende Musik jedweder Ausrichtung oft adelt: es erweckt eine schwer definierbare Sehnsucht und kann daher süchtig machen.