Vor seinem Zürcher Konzert sprach salsa.ch mit dem 1969 geborenen kubanischen Musiker Raúl Paz, der in Paris lebt und der soeben seine neue, in Kuba aufgezeichnete Live-CD "Raúl Paz / !En vivo!" herausgebracht hat.
Diese Live-Aufnahmen entstanden also in Kuba?
Richtig, am 10. und 11. Juni dieses Jahres.
Wie kamst du denn nach Paris und warum?
Ich studierte schon in Kuba am Konservatorium klassische Musik. Dann erhielt ich einen Platz an der Scola Cantorum des Konservatoriums in Paris. Die klassische Musik interessiert mich sehr und ich liebe vor allem Impressionisten wie Fauré, Debussy und Ravel, überdies aber auch die Musikkultur des Barock.
Du bist also nicht etwa aus Kuba geflohen?
Nein, es ging nur um meine Studien, die ich in Paris betreibe. Ich habe mich nie gross für Politik interessiert. Man mochte es aber offenbar in Kuba nicht, dass ich in Paris blieb und hat mich als ?Feind? eingestuft und katalogisiert. Ich konnte danach nicht mehr permanent nach Kuba zurückkehren, was alles ein bisschen irrational ist. Mein musikalisches Leben fand deshalb in Paris statt und danach auch ein bisschen in den USA. Den ersten Vertrag schloss ich mit einer amerikanischen Plattenfirma ab, die mich hier in Paris spielen sah. Ich repräsentiere ja nicht ein Postkarten-Kuba mit meiner Musik, ich bin jung, nicht schwarz und setze E-Gitarren ein...
... und spielst zum Beispiel auch Cumbia.
Genau. Ich war nie Kuba-Purist. Ich kriegte also einen Vertrag von dieser US-Firma und begab mich für eine Weile nach New York, 1999 bis 2000. Ich hatte noch die Gelegenheit, mit Tito Puente und Celia Cruz zusammen zu spielen.
An sich aber liebe ich Europa mehr als die USA. Die europäische Mentalität liegt mir. Man ist hier offener für meine Musikauffassung, in den USA existieren viele Klischées, was die Música Latina anbelangt.
Kannst du denn nun für Konzerte nach Kuba zurückkehren?
Das ist eine interessante Geschichte. Ich konnte stets problemlos in Kuba Ferien machen, es war mir aber verboten, dort zu spielen. 2006 hatten wir ein Konzert im Pariser Olympia und im Publikum sass auch der kubanische Kulturminister. Der Gig gefiel ihm sehr und er wollte mich unbedingt hinterher treffen. Ich denke, er gehört zu dieser neuen kubanischen Generation, die human denkt. Er meinte, ich sollte auch in Kuba präsent sein. Von diesem Moment an spielt man mich dort im Radio und TV, meine Videoclips werden gezeigt. Das kam alles gut an und man fragte mich, ob ich auch live auftreten möchte. Diese neue kubanische Generation hat gelernt, zu kommunizieren, was in all die langen Jahre gefehlt hat.
Kuba war lange Zeit isoliert.
So ist es, und es war mein Ding, dafür zu kämpfen, dass sich da etwas verändert. Weg von dem Image der alten Autos und dicken Zigarren. Ich wurde dafür kritisiert, weil ich nicht solche Klischées repräsentierte, sondern dass ich ein junger Mann bin, der neue und frische Musik spielen möchte. Und schliesslich kamen wir damit eben auch in Kuba gut an. Das war ein wichtiger Moment, man sprach nicht mehr über Politik, sondern über Menschlichkeit, die sich im Medium Musik ausdrückt.
Ich würde gerne eine Produktion mit jungen kubanischen Musikern machen, um der Welt zu zeigen, dass es auf Kuba nicht nur Salsa, sondern auch eine Menge anderer Musik gibt: elektronische Projekte, Hip Hop, Reggaeton. Dinge, die einfach nicht offiziell sind.
Und die man deshalb hier auch nicht mitkriegt.
Ja. Kuba muss langsam ein ?normales? Land werden.
Hattest du nie Probleme, zum Beispiel mit dem Text von "Revolución"? Der ist ja sehr raffiniert und mehrdeutig: Y busco la solución: revolución. Welche, bleibt offen.
(lacht). Ja, man kann da alles oder nichts hineininterpretieren. Es gibt drei Songs, die in Kuba problematisch sind: "Revolución", "Policia" und "Mari y Juana"?, das neben der offensichtlichen Bedeutung auch noch von einer homosexuellen Beziehung handelt.
Das Wort "Revolution" wird ja gerade im Falle der Französischen Revolution von rechts und links beansprucht: rechts reklamiert man "liberté" für sich, links "égalité" und "fraternité"?
Exakt. Im Grunde geht es aber immer um Humanismus und ich denke, dass auch in Kuba eine humane Politik siegen wird, denn das Schlimmste und Inhumanste, was es gibt, ist das Separieren und Ausgrenzen von Leuten.
Deine letzte CD "En Casa" ist sehr traditionell: Guajiras, Boleros und soweiter.
Ja, die ist eine Ausnahme. Nach all den modernen Sachen, die ich davor aufgenommen habe, war es mir wichtig, zu demonstrieren, woher ich komme und dass ich auch diese Musik pflege und spiele. Die Songs schrieb ich übrigens alle neu für diesen Set.