Kuba verschenkte seinen Vorteil - 50 Jahre kubanische „Revolutions-Musik“

Obschon Kuba mit seiner reichen Musiktradition zu manchem Latin-Music-Stil die Grundlage lieferte, geriet die Insel nach der Revolution für Jahre musikalisch ins Hintertreffen. Seit einiger Zeit holt man nun auf.

Eine Strassenszene in Havanna. Irgendwo steht ein Fass herum, daneben Perkussionsinstrumente. Die Sonora la Calle baut sich auf, der Pianist der Band stürzt sich sofort in knackige Claves, wie in der afrokubanischen Musik die rhythmisch-melodischen Grundmuster heissen. Ein Changuï jagt den anderen. Gutes Beispiel für das Konzept von „Havanna Rumba“, den letzten Teil jener Show-Trilogie, die mit „Lady Salsa“ und „The Bar At Buena Vista“ sich der Tradition der kubanischen Musik widmete. In „Havanna Rumba“ bringen die jungen Protagonisten aktuelle Sounds und Tänze auf die Bühne, neben der Timba und dem Cubaton eben viel aktuellen, vifen Changuï.

Beim Changuï handelt es sich um eine sehr alte Son-Form aus dem Osten der Insel. Angereichert durch Einflüsse aus - unter anderem - dem nahen Haiti kommt der Changuï ausgesprochen afro-perkussiv daher; Hauptinstrumente sind neben der Kleingitarre Tres Bongos, Maracas sowie die rhythmisch bearbeitete Holzkiste Marimba.

Tönt nach Roots. Allerdings sorgte bereits in den 50er-Jahren der clevere Musiker Elio Revé senior für eine Modernisierung des Changuï. Nachdem Revé 1997 bei einem Autounfall umgekommen war, führte sein gleichnamiger Sohn die Band unter dem Namen Elio Revé y su Charangon weiter und lässt den Changuï bis heute in modernen Formen und mit viel Speed sieden. Die Posaunen furzen, die Perkussion klickert und klackert an allen Ecken und Enden.

Aus Alt mach Neu
Als Revé senior sein Orquesta gründete, war die kubanische Musik im Saft. Havanna fungierte als Festhütte reicher US-Amerikaner, in welcher der Champagner in Strömen floss. Korruption, Unterdrückung und bittere Armut in der Bevölkerung waren die Kehrseite der Medaille. Aber: der Son blühte, unzählige Bands prosperierten, die Tanzböden vibrierten unter dem angesagten Mambo.

Nachdem Castros Revolution am 1. Januar 1959 gesiegt hatte, war fertig mit lustig und dekadent. Viele Kulturschaffende fühlten sich jedoch zunächst kreativ befreit, die grosse Sängerin Celia Cruz etwa war zu Beginn von Fidel begeistert. Der Wendepunkt kam mit einer Filmzensur: als 1961 die Aufführung des Dokumentarfilmes „P.M.2“, der ungeschminkt Havannas Nachtleben und Spelunken zeigte, verboten wurde, verliessen viele Künstler, Intellektuelle und Musiker die Insel. Zur Freiheit in der Kultur meinte Fidel: „Innerhalb der Revolution: Alles! Gegen die Revolution: Nichts!“

Die Aussage war schwammig, beliess aber gerade deshalb den Kubanern Freiräume. Trotzdem: infolge der Verstaatlichung von Radio und TV sowie der sozialistischen Kritik an importierter Kultur - der Jazz etwa galt lange Zeit als imperialistische Musik - dümpelte die kubanische Musik jahrelang inzestuös in verhockten nationalistischen Traditionen. Um 1970 begann Fidel sich ideologisch stark an der Sowjetunion zu orientieren. Plötzlich war Atheismus angesagt, was die populäre afrokubanische Mischreligion Santeria in Bedrängnis brachte, deren Begleitsounds zu den wichtigsten Inspirationsquellen kubanischer Populärmusik gehören.

Im Hintertreffen
Rings um Kuba herum entwickelte sich die Música Latina weiter. In den 60er-Jahren erfanden Exil-Kubaner, Dominikaner, Puertorikaner und andere Latinos in New York die Salsa im heutigen Sinne, die grundsätzlich nichts anderes als instrumental aufgemotzter Son ist. Der Begriff Salsa wurde in Kuba geächtet. Das Verhältnis zur Salsa in dieser Epoche schildert der Insel-Musiker Adalberto Álvarez: „Wir hatten die Flagge des Chauvinismus gehisst, um die Salseros für eine vermeintliche Ausbeutung zu kritisieren, während sie sich doch in Wahrheit einen kulturellen Reichtum aneigneten, den wir, die direkten Erben, verschmähten.“ Allerdings entwickelten während den 70er-Jahren in Kuba die von Juan Formell gegründeten Los Van Van einen Songo genannten neuartigen Stil, der Afrokubanisches mit anderen karibischen Musiken wie etwa Soca (Soul-Calypso) aus Trinidad verquickte.

Die kubanische Musik auf den Kopf gestellt aber hat Oscar d’Leon. In einem legendären Auftritt von Ende 1983 pfefferte der Venezolaner den Kubanern ihre eigene Musik mit dermassen viel Speed um die Ohren, dass diese vom Stühlchen kippten. Seither tönt die kubanische Musik druckvoll und dynamisch.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Ostblock begann Fidel, einen paradoxen Kurs einzuschlagen: einerseits brachte die Rückbesinnung auf die eigene Revolution neue Repressionen, andererseits wurde aus ökonomischen Gründen 1993 der Dollar als Zahlungsmittel legal und Ausländer konnten nach 1995 auf Kuba Investitionen tätigen.

1997 wurde die kubanische Musik durch anachronistische Ereignisse ins internationale Bewusstsein zurückkatapultiert. Musiker wie Ry Cooder und der Filmregisseur Wim Wenders zogen in Havanna singende und musizierende Omas und Opas aus der Prä-Castro-Ära ans Licht der Öffentlichkeit und präsentierten sie mit ihren Sones und Boleros im Film „Buena Vista Social Club“. Das bescherte der Música Cubana weltweit einen Boom, der bis heute nachwirkt. Die meisten weissen Aficionados blieben jedoch in einem engen Kuba- und Salsa-Korsett befangen, nur wenigen gingen Ohren für das weite Feld der gesamten Música Latina auf.

Gute Musik ohne Firlefanz
In Kuba selbst war während den 90ern mit der Timba eine Alternativ-Salsa entstanden, welche der Flötist José Luis Cortés mit seiner Band NG La Banda initiiert hatte. Die Timba geht mit aggressivem Dekonstruktionismus an die Salsa ran: durchgedroschene Beats, Dissonanzen und ausgedehnte Sequenzen. Es wird sozusagen dem harten Leben mit all seinen Disharmonien, aber auch seinen schönen Seiten entlang musiziert. Gleichzeitig wirkt die Timba wie ein Protest gegen die hedonistische Salsa Dura New Yorker Prägung. Hört man sich jedoch eine neue CD etwa von der blutjungen Gruppe Maikel Blanco y su Salsa Mayor an, kriegt man eine zwar immer noch dynamische, jedoch durchaus lustvolle Timba/Salsa serviert, die kaum noch schräg zersägt ist.

Trotz der zunehmenden Toleranz des Regimes gegenüber neuen Musikformen hinkt Kuba bis heute hinter anderen Latino-Ländern her, was Innovationen angelangt. Dem pan-karibischen Reggaeton hat man mit Cubaton eigene Varianten entgegengestellt, in denen das Reggaeton-Rhythmusgerüst eklektizistisch mit Anleihen aus der traditionellen Música Cubana angereichert wird. Ob Gente de Zona oder Colaloca: Cubaton-Gruppen laufen momentan bei der Jugend wie geschmiert. Eine echte Innovation wie die Dominikaner mit ihrer Bachata haben die Kubaner in den letzten Jahrzehnten allerdings nicht hervorgebracht. Typisch für die aktuelle kubanische Musik ist es, wie zum Beispiel die ostkubanische Gruppe Madera Limpia alte Stile wie eben den Changuï aufmotzt, aber auch Reggae und Afrohaitianisches reinmixt. Fazit: Kuba ist eigentlich nicht partout auf Innovationen angewiesen, denn mit dem modernen Aufbereiten seiner qualitativ wertvollen Tradition kann es die Welt noch Jahrzehnte lang mit guter Musik beglücken.